Franz Wenzel: Börsenhausse auf tönernen Füßen

In Bezug auf die Weltaktienbörsen war das erste Quartal 2019 zweifellos bemerkenswert: Durch die Bank weg haben die wichtigsten Börsenindizes mehr als 10 Prozent zugelegt – und das trotz Wirtschaftsdaten, die alles andere als positiv waren. Für Dr. Franz Wenzel, Anlagestratege für institutionelle Kunden bei AXA Investment Managers, besteht jedoch nach mehr als 10 Jahren US-Wirtschaftsaufschwung kein Zweifel daran, dass sich der Konjunkturzyklus in der Spätphase befindet: „Grund zum Börsenjubel gibt es nicht. Investoren sind gut beraten, ihre Positionen defensiv auszurichten.“

Daten sprechen für Abschwung

Dafür sprächen unter anderem die zum Teil deutlich nach unten revidierten Wachstumraten rund um den Globus sowie die deutlichen Warnsignale für eine Rezession. So habe sich beispielsweise die Zinsstrukturkurve für amerikanische Staatsanleihen, also die Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen abzüglich der Zinsen für zehnjährige Anleihen, auf marginale 15 Basispunkte abgeflacht. „Dies ist zwar kein eindeutiger Beweis für eine kommende Rezession, aber gleichwohl ein nicht zu unterschätzendes Indiz“, so Wenzel. Ähnlich hätten sich die Renditen in Europa verhalten. „Vor etwa einem Jahr rentierten Deutsche Bundesanleihen noch bei etwa 50 bis 60 Basispunkten. Heute stehen sie wieder bei null Prozent. Analoges gilt für die Schweizer Eidgenossen, die an der Spitze mit 15 Basispunkten rentieren. Heute sind die Investoren wieder bereit, für den sicheren Hafen einen Strafzins von -40 Basispunkten zu bezahlen“, kommentiert Wenzel.

Ferner wurden die Prognosen für die Unternehmensgewinne drastisch reduziert. Vor zwölf Monaten wurden für 2019 noch Gewinnwachstumsraten um die 15 Prozent für die USA und 8 Prozent für die Eurozone prognostiziert. Davon sind heute nur noch um die 5 Prozent sowohl für die USA als auch für die Eurozone übriggeblieben; Tendenz fallend. Gleichzeitig habe die Kombination aus sinkenden Gewinnen und steigenden Börsenkursen die Bewertung nach oben gehebelt.

Hoffnungsgetriebene Börsenhausse

Die aktuelle Hausse alimentiert sich Wenzel zufolge primär aus zwei Faktoren: Die 180-Grad-Wendung der US-Notenbank und der Hoffnung auf einen guten Ausgang der Verhandlungen zwischen China und den USA.

Bis Mitte Dezember 2018 galt es als ausgemachte Sache, dass die US-Notenbank die Geldmarktzinsen weiter anheben würde. Das ohne nähere Definition erklärte neutrale Zinsniveau war demzufolge noch nicht erreicht. Ende Dezember 2018 schwenkte die US-Zentralbank auf einen anderen Kurs ein. Gemäß ihrem Chef Jerome Powell würde man die Datenlage mit „Geduld“ ergründen. Im Klartext heißt das, dass es keine vierteljährlichen Zinssteigerungen mehr gibt. Seither hat sich die Notenbank weiter erklärt und auch die Rückführung der Zentralbankbilanz, oftmals gerne als ‚quantitative tightening‘ umschrieben, neu überdacht. Ab Herbst soll die Bankbilanz nicht weiter reduziert werden. In der Konsequenz ähnlich sind laut Wenzel auch die letzten Äußerungen von der EZB zu interpretieren: „Die aktuelle konjunkturelle Schwäche verbunden mit einer nach wie vor enttäuschenden Inflationsrate reduziert den Aktionsradius der Geldpolitiker in Frankfurt. Hinzu kommt, dass der nach wie vor lahmende Finanzsektor auf weitere Liquiditätsspritzen angewiesen ist“, so der Experte. „Zusammengefasst fußt die Liquiditätshausse auf der Hoffnung, dass es die Zentralbanken schon richten werden.“

Der zweite Faktor für die positive Börsenstimmung alimentiere sich aus der Hoffnung, dass die aktuellen Verhandlungen zwischen den USA und China zu einem positiven Ergebnis führen und damit das Wirtschaftswachstum in beiden Ländern wieder an Dynamik gewinnt.

„Allerdings schwelt der Handelsstreit bereits seit mehreren Monaten. Hoffnungen wurden immer wieder enttäuscht. Während die beiden Staatsoberhäupter aktuell eher positive Botschaften vermitteln, sind die Meldungen der Verhandlungsführer eher zurückhaltend. Dass die aktuelle konjunkturelle Schwäche sowohl in den USA als auch in China die Partner unter Zugzwang setzt, lässt die Äußerungen der Regierungschefs aber eher als Zweckoptimismus erscheinen“, sagt Wenzel. Eine schnelle Lösung wäre sicherlich für alle Beteiligten von Vorteil, auch für Europa. Es bleibe nur zu hoffen, dass es dieses Mal klappt.